Überarbeitung der TSI PRM

Formsignal Fahrt! Die wichtigen Vorgaben der TSI PRM für die Barrierefreiheit bei der Eisenbahn werden derzeit einer Überarbeitung unterzogen. Dabei steht TSI PRM für die Verordnung (EU) Nr. 1300/2014 der Kommission über die technischen Spezifikationen für die Interoperabilität bezüglich der Zugänglichkeit des Eisenbahnsystems der Union für Menschen mit Behinderungen und Menschen mit eingeschränkter Mobilität.

Es soll diesmal insbesondere um die Schnittstelle Bahnsteig / Zug und den „ebenerdigen Zugang“ (Level access) gehen und ambitionierter ausfallen, als das bei der in 2023 veröffentlichten Version der Fall war. Dabei geht es auch um die „Harmonisierung der Bahnsteighöhen als einzige Lösung, um einen ebenen Zugang zum Rollmaterial in großem Maßstab zu gewährleisten“. Von welchem Vertreter der Menschen mit Behinderungen stammt diese Wunschvorstellung? Von keinem, das hat der damalige Executive Director Josef Doppelbauer so im April 2020 unterschrieben (siehe Recommendation ERA-REC-128-2 der Eisenbahnagentur der Europäischen Union an die Europäische Kommission).

Bild der stark verkleinerten Seite der TSI PRM

Die Ausgangsbasis ist dabei nach mehreren Änderungen die konsolidierte Fassung der TSI PRM aus September 2023. Sie ist zu finden auf der Website
eur-lex.europa.eu (in den Formaten HTML und PDF, jeweils in mehreren Sprachen)
oder als PDF-Datei auf Deutsch mit Berichtigungen auf Stand Juli 2025 über diesen Link:
Download TSI PRM (Stand Juli 2025).
Was sich durch die erwähnte Berichtigung geändert hat? Bei Rampen wurde an zwei Stellen das bisher in der Übersetzung fehlende Grad-Zeichen (°) nachgebessert. Allerdings blieb „mit einem langen Stock“ stehen. Gemeint ist der „Blindenstock“ oder „Langstock“. Auch andere solcher Stellen mit Schwächen in der Übersetzung haben in dieser und anderen TSIs überlebt. Das gilt entsprechend auch für Versionen in anderen Sprachen.

Was geht uns in Deutschland diese europäische Regelung an? Solche EU-Verordnungen sind ohne weitere Umsetzung in nationales Recht direkt in den Mitgliedstaaten der EU anzuwenden. Also auch in Deutschland.

Wo findet die Überarbeitung statt? Der Auftrag dazu wurde von der Europäischen Kommission an die „Europäische Eisenbahnagentur“ (kurz ERA, für „European Union Agency for Railways”) erteilt. Die Agentur ist eine Einrichtung der Europäischen Union mit eigener Rechtspersönlichkeit. Das Hauptquartier befindet sich in Valenciennes im Norden Frankreichs, Treffen und Konferenzen finden hingegen in Lille statt. Und oft nur online.

Werden Organisationen der Menschen mit Behinderungen beteiligt? Zunächst wurde, wie in solchen Verfahren vorgesehen, eine Arbeitsgruppe gegründet. Sie wird als TWG PTI bezeichnet. Das steht für „Topical Working Group on the Platform-Train Interface”. Sie trägt die Schnittstelle Bahnsteig - Zug bereits in ihrer Bezeichnung. Es sind viele unterschiedliche Stakeholder in der Arbeitsgruppe vertreten. Als einziger Vertreter speziell für die Interessen der Menschen mit Behinderungen ist das „European Disability Forum” (abgekürzt EDF, deutsche Bezeichnung „Europäisches Behindertenforum“) vorgesehen. Dessen Sitz ist Brüssel. Die Überarbeitung der TSI PRM wird ausschließlich in Englisch durchgeführt. Eines der Mitglieder ist aus Deutschland der „Deutsche Behindertenrat“ (abgekürzt DBR). Die (kleine) Arbeitsgruppe des Deutschen Behindertenrats, die sich mit der auf europäischer Ebene laufenden Überarbeitung der TSI PRM auseinander setzt, Unterlagen kommentiert und eigenen Input beisteuert, trägt die Bezeichnung DBR-AG TSI PRM. Der Austausch in der Arbeitsgruppe findet per E-Mail und (unregelmäßig, bei Bedarf) online in Video-Konferenzen statt. Im Newsletter des Deutschen Behindertenrates 8/2024 wurde von der Gründung der Arbeitsgruppe berichtet.

Bild der stark verkleinerten Seite EDF Positionspapier (Entwurf, 2025)

Wie geht die Arbeit bisher voran? Seitens der Mitglieder der DBR-AG TSI PRM wurden Unterlagen von EDF kommentiert. Wenn es schnell gehen muß, wird von EDF ein E-Mail-Verteiler „Transport Expert Group“ (TEG) verwendet, in dem auch Mitglieder der Arbeitsgruppe vertreten sind. Es ging zuletzt um Kommentierungen und Ergänzungen zu dem, was sich aus den Sitzungen der TWG PTI ergeben hat und um die Forderungen für das Positionspapier der EDF, das inzwischen auf rund 30 Seiten angewachsen ist. Das Positionspapier wird voraussichtlich im Oktober 2025 fertig gestellt.

Welche Vorgaben sind „gesetzt“? Zu nennen ist zunächst einmal das, was von der Europäischen Kommission in den Auftrag geschrieben wurde. Bei der Überarbeitung der verschiedenen Technischen Spezifikationen (es geht nicht nur um die TSI PRM!) gibt es allein unter der Überschrift „Completing SERA“ 36 Unterpunkte. SERA steht dabei für die „Single European Railway Area” (deutsche Bezeichnung: der „Einheitliche europäische Eisenbahnraum“). Ein Beispiel daraus: CS-18 - „Train-platform interface“ als zentraler Punkt für den autonom nutzbaren niveaugleichen Einstieg („level access“ und „independent boarding“). 15 Unterpunkte gehören zu „Optimised Regulation“. Ein Beispiel daraus: OR-06 - „upgrade of existing stations“ mit dem wesentlichen Punkt „Assess which works should trigger the change of platform height to TSI compliant one“, also der Frage, was künftig den Umbau auf Bahnsteighöhen nach TSI auslösen („triggern“) soll. Hier hat der Nationale Umsetzungsplan für Deutschland klar zu wenig vorgesehen. 22 Unterpunkte hat „Innovation uptake and Future-proof rail system“. Ein Beispiel daraus: IU-15 - „Cybersecurity“. Wie gesagt, es geht nicht nur um Barrierefreiheit. Weitere sieben Unterpunkte gehören zu „Additional studies“. Ein Beispiel daraus: AS-02 - „Harmonisation of European electrification systems“ (Harmonisierung bei der Stromsystemen).
Es geht um eine ganze Reihe von Vorschriften, so auch die INF TSI, die von der Interoperabilität des Teilsystems „Infrastruktur“ des Eisenbahnsystems handelt. Für die Barrierefreiheit sind unter anderem die Einstiegsverhältnisse entscheidend, von daher sollte man die Vorgaben für die Infrastruktur nicht aus den Augen verlieren.

Zeitlicher Rahmen, Rahmenbedingungen: Der Auftrag an ERA wurde im „Railway Interoperability and Safety Committee“ (RISC, deutsche Bezeichnung: „Ausschuß für Eisenbahninteroperabilität und -sicherheit“) im Juni 2024 präsentiert und im August 2024 erteilt. Einzelne Punkte (darunter durchaus „accessibility-related topics“) werden nicht in der TWG PTI behandelt, sondern haben andere Zuständigkeiten. Leider ist das auch bei „Public availability of station accessibility data“ so. Ungünstige Lösungen für die Daten-Strukturen werden langfristig nachteilig für die Menschen mit eingeschränkter Mobilität sein und bleiben. Ich habe zwar auf bestimmte Punkte hingewiesen, doch Zuständigkeit ist Zuständigkeit. Zusätzlich gibt es einige wenige change requests, die von anderen Stellen stammen. Was auf Ebene TWG erarbeitet wird („Contribution“ genannt), ist danach noch durch eine Working party (WP) zu bringen. Die Ergebnisse („Recommendations“ genannt) werden teils für Dezember 2026, teils für Dezember 2028 erwartet. Zum Vergleich: Was bis 2019 zu Änderungen in der TSI PRM erarbeitet wurde, ist 2023 herausgegeben worden.

War da nicht was mit den Abschließenden Bemerkungen? Sowohl in den Abschließenden Bemerkungen an Deutschland in 2023 als auch in denen an die Europäische Kommission in 2025 wurde vom „Ausschuß für die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ der Vereinten Nationen die TSI PRM ausdrücklich erwähnt, als es um Besorgnisse und Empfehlungen (rechtliche Begriffe) ging. War der Ausschuß zufrieden mit dem, was er diesbezüglich vor gefunden hat? Geäußerte Besorgnisse bedeuten, daß mit dem vorgefundenen Zustand die Verpflichtungen aus der UN-BRK nicht erfüllt werden.

Bild der stark verkleinerten Kopfzeilen der Abschließenden Bemerkungen an die EU aus 2025

An die Europäische Kommission gerichtet lautete in 2025 die Besorgnis unter 50.The Committee is concerned that“ und weiter als (b)Commission regulation (EU) No. 1300/2014 of 18 November 2014 on the technical specifications for interoperability relating to accessibility of the Union’s rail system for persons with disabilities and persons with reduced mobility allows the use of inaccessible trains and does not address the platform-train interface“.
Als Empfehlung dazu folgt unter 51.The Committee recalls its previous recommendation and recommends that the European Union“ und weiter als (b)Include comprehensive accessibility requirements for train stations and rolling stock in the upcoming revision of Commission regulation (EU) No. 1300/2014, ensuring independent boarding and removing exceptions for double-decker trains and restaurant cars“.
Ziel muß es demnach sein, daß die TSI PRM künftig eben nicht mehr den Einsatz von nicht barrierefreien Zügen zuläßt und sich mehr um die Schnittstelle Bahnsteig - Zug kümmert. Bezug auf eine frühere Besorgnis nehmen, spricht dafür, daß der Umgang mit den vorangegangenen Abschließenden Bemerkungen aus Sicht des Ausschusses unzulänglich war, weil Besorgnisse nicht ausgeräumt wurden. Nun wird empfohlen, weitreichendere Vorgaben für die Zugänglichkeit (Menschenrechtlicher Begriff) für Bahnhöfe und Züge zu machen und den selbständigen Einstieg für alle (und damit auch Menschen im Rollstuhl) sicher zu stellen. Außerdem sollen bestimmte, bestehende Ausnahmen entfernt werden.

Bild der stark verkleinerten Kopfzeilen der Abschließenden Bemerkungen an Deutschland aus 2023

An Deutschland gerichtet lautete in 2023 die Besorgnis unter 19.Der Ausschuss ist besorgt über“ und weiter unter c)die weitgehend fehlende Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr“.
Angesichts dieses (leider angemessenen) Rundumschlags folgten eine ganze Reihe von unterschiedlichen Empfehlungen, so auch unter 20. c)gesetzliche Vorschriften zu erlassen und umzusetzen, die die autonome Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel durch Menschen mit Behinderungen gewährleisten, und zu diesem Zweck insbesondere“ und weiter unter i)die anstehende Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1300/2014 der Kommission über die technischen Spezifikationen für die Interoperabilität bezüglich der Barrierefreiheit des Eisenbahnsystems der Union für Menschen mit Behinderungen und Menschen mit eingeschränkter Mobilität zügig und mit einem klaren Plan und Zeitrahmen umzusetzen und für den Fall, dass die geänderte Verordnung keinen autonomen Zugang zu Bahnhöfen und zum Bahnverkehr garantiert, entsprechende innerstaatliche Vorschriften zu erlassen und umzusetzen“. Nun ja, es ging um das wenig ambitionierte TSI-Paket aus 2023, das eben in diesem Sinne unzureichend war. Folglich wird Deutschland empfohlen, einerseits anders als bisher zügig und mit einem klaren Plan und Zeitrahmen für Verbesserungen zu sorgen und selbst innerstaatlich Vorgaben zu schaffen, die den autonomen Zugang zu Bahnhöfen und zum Bahnverkehr garantieren. Haben Sie von diesbezüglichen Aktivitäten gehört? Ich nicht.

Wie wird das gegenüber den Bürgern vor Ort dargestellt? Dazu eine Formulierung aus einer Vorlage in einem Gemeinderat in einem Abschnitt betreffend „Haltepunkte der S Bahn“ zu einer bestimmten Station: „Aufgrund der eher geringen Fahrgastzahlen besteht derzeit für die DB auch keine Verpflichtung zur Herstellung der Barrierefreiheit“. Leider steht zu dem Umbau der Bus-Haltestellen im Stadtgebiet auch fast nichts in der Vorlage. Doch das gehört zu einem anderen Thema.

„Trigger“ Generalsanierungen bei der Bahn (DB InfraGO)? Wie steht es um die Auslöser für die Herstellung der Barrierefreiheit an Bahnhöfen in Deutschland? Manche Menschen vermuten, die ganz groß angekündigten großen Maßnahmen wie die Generalsanierungen hätten automatisch zur Folge, die Barrierefreiheit würde an allen Stationen an der Strecke sicherlich auch hergestellt. Das ist nicht der Fall. Ein deutlich besseres Bild ergibt sich, wenn man Pressemitteilungen zu dem Thema anschaut. Aber leider nur durch die Präsentation, nicht durch die umgesetzten Maßnahmen. Einer der Bahnhöfe an der Riedbahn ist Mannheim Waldhof. Diese Generalsanierung ist inzwischen abgeschlossen, vieles wurde aufgehübscht. Barrierefrei zugänglich ist dort nur ein Bahnsteig. Das war er aber schon zuvor. Einer ist barrierefrei erschlossen, hat also einen Aufzugsschacht ohne Aufzug darin. Das ist gleichzeitig der einzige Aufzugsschacht im Bahnhof. Wie ein weiterer Bahnsteig ist dieser Bahnsteig nur über Treppenstufen vom öffentlichen Wegenetz der Stadt zugänglich. Ohne einen Termin anzudeuten, steht in der genannten Vorlage für den Gemeinderat: „Die Haltepunkt Waldhof soll im Rahmen des DB-Großprojekts Neubaustrecke Mannheim – Frankfurt barrierefrei ausgebaut werden, da hierdurch ohnehin Eingriffe in den Bahnhof vorgesehen sind“.

Bild der stark verkleinerten Seite des Nationalen Umsetzungsplans zur TSI PRM (23 Seiten, 2017)

Hintergrund: der Nationale Umsetzungsplan zur TSI PRM. Den hat sich Deutschland selbst gegeben; Abweichungen über vorgegebenen Formulierungen hinaus waren schon immer möglich, von wegen Vorgaben seitens der EU. Zu dessen bekannteren Auswirkungen zählt in Deutschland die „1.000-Reisende-Regelung“, nach der Bahnhöfe in Deutschland mit einer kleineren Anzahl von Reisenden pro Tag bei der Herstellung der Barrierefreiheit weiterhin zurück stehen. Wer in Meldungen über die Generalsanierungen „Rechter Rhein“ im Zeitraum Juli 2026 bis Dezember 2026 bei der Deutschen Bahn auf Informationen darüber stößt, daß nach Abschluß der Maßnahme zwischen Troisdorf und Wiesbaden-Biebrich weiterhin 11 der 36 Stationen nicht barrierefrei sein werden, findet als Begründung, wieso ein Umbau nicht möglich sei, die Regelungen, die sich Deutschland im genannten Nationalen Umsetzungsplan selbst gegeben hat.

Auf der Website zum Projekt stand unter anderem diese Formulierung: „Die vier Stationen Lorchhausen, Leubsdorf, Kestert und Kamp-Bornhofen sind anschließend zwar nicht barriere-, jedoch stufenfrei“ und „An den Stationen Assmannshausen, Kaub, Osterspai, Leutesdorf, Rheinbrohl, Erpel und Unkel wird die Herstellung der Barrierefreiheit während der Generalsanierung nicht möglich sein. Das liegt an den zu geringen Reisendenzahlen. Die Station Unkel mit einer Reisendenzahl von mehr als 1.000 Reisenden ist hierbei eine Ausnahme“ und wird irgendwann später angegangen...

Betreffend der „EU-Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen nach 2024“ wurde inzwischen die „Entschließung des Europäischen Parlaments vom 27. November 2025 zu der EU-Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen nach 2024 (2025/2057(INI))“ angenommen.

Bild der stark verkleinerten Seite der Entschließung

Sie enthält ein paar Anmerkungen zu Erreichtem und eine Unmenge von Themen mit Handlungsbedarf. Kein Wunder angesichts der schon erwähnten Abschließenden Bemerkungen.

Auch direkt bezogen auf die TSI PRM steckt etwas drin: „Das Europäische Parlament ...“ (unter 42.) „fordert die Kommission nachdrücklich auf, die Verordnung (EU) Nr. 1300/2014 über die Zugänglichkeit der Eisenbahninfrastruktur für Menschen mit Behinderungen zu überarbeiten, um die bestehenden Herausforderungen und die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen auf Reisen innerhalb der EU zu bewältigen und zu verhindern“.

Gemäß dem Europäischen Parlament entstehen also auch bei strikter Einhaltung der TSI PRM nach dem aktuellen Stand aus 2023 Diskriminierungen. Eine beachtliche Erkenntnis.

Bild der stark verkleinerten Seite eines Schreibens innerhalb der DBR-AG TSI PRM (8 Themen, 41 Seiten)

Was ich selbst beitrage? Ich bin in der DBR-AG TSI PRM und in der TEG aktiv und äußere mich schriftlich und auch in Video-Konferenzen. Es gibt diesen Artikel auf der Website für die Öffentlichkeit und damit auch für Sie. Überdies habe ich mich schon in Artikeln in Fachzeitschriften darum bemüht, das Thema bekannter zu machen. Siehe dazu auch auf der Seite Publikationen.

(bk, zuletzt geändert 2025-12-01)

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